Neben der aktuellen Aufarbeitung von Bänden, die ich bereits vor einigen Monaten gelesen habe muss ich jetzt einfach mal was Aktuelles einschieben. Gerade vergangene Woche beendet hat mich der Band enorm geflasht und bewegt mich noch immer.
Eternauta
Manchmal gibt es Comics, die suchst Du Dir nicht aus, nein der Comic sucht Dich aus. Okay, das ist jetzt vielleicht ein bisschen zu hochtrabend ausgedrückt, aber zum „Eternauta“ bin ich wirklich über einige Ecken und mehr durch Zufall gekommen, als dass ich mir bewusst vorgenommen hätte den irgendwann mal zu lesen. Am Anfang war meine kleine Obsession für alles, was mit H. P. Lovecraft zu tun hat. Diese führte mich nach einiger Zeit unweigerlich zum „Lovecraft“-Band von Meister Alberto Breccia. Auf meine kleine Rezi zu dem Band hat der gute excelsior aus dem PFF verlauten lassen, dass er Breccias „Eternauta“ hervorragend fand. Nun ja, auf excelsiors Empfehlungen kann man sich in der Regel verlassen, also setzte ich mir den Band mal auf die Merkliste, der den Titel „Eternauta 1969“ trägt. Allerdings habe ich den Comic immer mal wieder auf die lange Bank geschoben und als es dann endlich so weit war, dass ich mir den zulegen wollte musste ich feststellen, dass „Eternauta 1969“ ja lediglich eine Art Remake eines älteren, und deutlich umfangreicheren Werkes ist. Zum Glück macht der avant-verlag keine halben Sachen und hat beide Bände in prächtiger Aufmachung ins Programm genommen. Den „Eternauta“ in einer knapp 400 Seiten starken Gesamtausgabe im hochwertigen Hardcover, welches passend in Querformat gestaltet wurde, und den späteren „Eternauta 1969“, der optisch von Alberto Breccia in Szene gesetzt wurde, im gleichen Format wie sein Lovecraft Band.
Der ab 1957 erschienene Eternauta von Autor Hector Germán Oesterheld und Zeichner Francisco Solano López ist in Argentinien so etwas wie nationales und politisches Kulturgut. Weshalb das so ist, darauf will ich später noch kurz eingehen, jetzt aber dazu was einen erwartet, wenn man ganz unbedarft rangeht und einfach nur die Geschichte liest, denn selbst ohne großartige Vorkenntnisse merkt man ganz schnell, dass man hier einen großen Klassiker in Händen hält. Nicht nur deshalb, sondern auch wegen dem ein oder anderen Spoiler würde ich deshalb empfehlen die ersten 24 Seiten des Buches, also die Einleitung mit der Entstehungsgeschichte und der Erläuterung der politischen Relevanz des Comics, erst im Nachhinein zu lesen.
Es ist ein beschaulicher Abend des Jahres 1957 in einem Vorort von Buenos Aires. Es ist bereits spät geworden und die Häuser in der Straße sind bereits dunkel, alle bis auf eines, in dem noch ein Fenster erleuchtet ist. Dort sitzt ein talentierter Comic-Zeichner an seinem neusten Werk, als plötzlich etwas Unglaubliches geschieht. Ihm gegenüber materialisiert wie aus dem Nichts eine Person, ein Mann mit einem traurigen Gesichtsausdruck, abgekämpft und müde von einer sehr sehr langen Reise, einer Odyssee wie sie abenteuerlicher kaum sein kann. Kurz darauf beginnt dieser Reisende, der sich selbst als „der Eternauta“ vorstellt, dem Comicschaffenden seine außergewöhnliche Story zu erzählen.
Der Eternauta lebte ein recht gutes Leben, ebenfalls in einem kleinen Vorort von Buenos Aires. An einem ungewöhnlich kalten Winterabend saß er mit seinen Freunden, wie so oft, im kleinen Chalet, einem Anbau seines Hauses, einer Art Hobbyhöhle, als etwas für Buenos Aires sehr Ungewöhnliches geschieht, es beginnt zu schneien. Allerdings ist dieser Schneefall kein normales Wetterphänomen, denn alles Leben welches mit den weißen Flocken in Berührung kommt vergeht sofort. Jeder Mensch auf der Straße, jedes Haus mit geöffnetem Fenster, jedes Fahrzeug in dem die Belüftung läuft, also nahezu die gesamte Bevölkerung fällt dem Tode anheim. Nur durch Zufall bemerken die Freunde und die Familie, Frau und Tochter des Eternauta, rechtzeitig was draußen vor sich geht und es gelingt ihnen das Haus hermetisch abzudichten, um so die Nacht zu überleben.
Was daraufhin in der wunderbar atmosphärischen Kulisse des verschneiten Buenos Aires beginnt ist ein absolutes Science-Fiction Sahnestück. Die Inszenierung der globalen Alien-Invasion ist dermaßen spannend und abwechslungsreich aus der Sicht dreier „normaler“ Männer mit gänzlich unterschiedlichen Fähigkeiten und Charakterzügen geschildert, dass ich das Buch gar nicht aus der Hand legen wollte. So viele überraschende Einfälle und Wendungen, Ideen die 1957 sicher frisch und neu waren, auch wenn wir sie heute auf verschiedenen bekannten Werken der Popkultur wiedererkennen, ja der Eternauta scheint wahrlich ein Vorreiter seiner Zunft gewesen zu sein. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es reiner Zufall ist, dass Paul Verhoeven seine Käferarmee in Starship Troopers, die noch dazu telepathisch verbunden ist und somit zentral gesteuert wird, als erste Stadt auf der Erde Buenos Aires zerstören lässt.
Dazu spürt man förmlich die kritischen und politischen Untertöne, die das aktuelle politische Umfeld geschickt aufgreifen, wie es bei guter Science-Fiction aus den 60er und 70er Jahren in den Kinos so häufig der Fall war, selbst wenn man mit der Geschichte Argentiniens nicht sonderlich vertraut ist, oder den Stellenwert des Werkes bereits kennt. Das führt mich zum zweiten großen Punkt, weshalb der Band einfach ein Must Read ist, wenn man mit Sci-Fi oder Endzeitstories auch nur im Entferntesten etwas anfangen kann. Fast schon prophetisch beschwört der Autor hier einen Teil seiner eigenen, späteren Zukunft unter der Militärjunta in Argentinien herauf, wo Zensur und Gewalt gegen das Volk an der Tagesordnung war. So liest sich alleine die Einleitung dieses Bandes spannender und tragischer als viele reißerische Novellen.
Hector Oesterhelds Töchter waren, junge, intelligente und bildhübsche Frauen, die mit einem freien Geist erzogen wurden, und so war es nicht verwunderlich, dass sie sich einer Gruppierung anschlossen, die sich gegen das Regime auflehnten und neben oppositionellem Protest auch radikalere Aktionen durchführten. Überall auf der Welt entstehen solche Bewegungen, wenn einem unterdrückten Volk eine junge, schulisch gebildetere und mutige, idealistische Jugend entwächst, man denke nur an den arabischen Frühling in den 2010er Jahren. Diesem idealistischen Kampf seiner Töchter schloss sich Hector Germán Oesterheld, trotz der Sorgen und Ängste seiner Frau an und wurde 1977 schließlich inhaftiert. Es ist verbrieft, dass ihm während seiner Haftzeit in verschiedenen Einrichtungen nach und nach die Leichen seiner vier Töchter gezeigt wurden, die der Militärjunta zum Opfer fielen. Auch, dass ihm ein Enkel, quasi als Drohung, in einem Gefängnis kurzzeitig an seine Seite gesetzt wurde, um Oesterheld davor zu warnen weiter gegen die Junta aufzubegehren.
Irgendwann hören die Informationen zu Oesterhelds Inhaftierung auf. Ich kann mir den Schmerz des Mannes ob seiner vier toten Kinder gar nicht ausmalen und will das auch nicht. Seine Frau hat noch Jahrzehntelang versucht Hectors Verbleib untersuchen zu lassen. Er oder seine Leiche wurde niemals gefunden. Der Eternauta, mit seinem Kampf gegen eine übermächtig erscheinende Macht und seiner ewigen Suche durch die Zeiten ist also ein Vermächtnis, eine Metapher und eine Art vorgegriffenes Zeitzeugnis. Wahrhaft außergewöhnlich, sowohl was den Schreibstil, die Metaebene, und das hervorragende Artwork angeht, aber auch in der Art und Weise wie das Werk auch Jahrzehnte nach seiner Entstehung weiter politisiert wird und von verschiedensten Gruppen für ihre Zwecke eingesetzt. Da werden sogar Gesichter von argentinischen Präsidenten in die Tauchermaste des Eternauta hineinkopiert! Ob das dem Werk gerecht wird und im Sinne des Erschaffers ist, oder den Nutzern einfach durch die Popularität des Werkes und seiner Subbotschaften zu Gute kommt sei mal dahingestellt, auf jeden Fall wird der Eternauta so schnell nicht in Vergessenheit geraten, schon gar nicht in Argentinien und sicher auch nicht von mir.
9,5/10
Jetzt bin ich aber doch sehr gespannt auf Oesterhelds spätere Neubearbeitung des Stoffes, die er zusammen mit Alberto Breccia 1969 vornahm, und wohl leider vorzeitig und überhastet nach gut 50 Seiten zu einem Ende bringen musste.
VG, God_W.
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