Zitat von
Zauberland
Und genau diese verantwortungsbewusste Haltung fehlt doch in der Diskussion auch den "Nazi-Verharmlosern". Denn diese fühlen sich genauso persönlich angegriffen und kommen dann auch sofort mit dem Totschlagargument es müsse mal "Schluss" sein mit der Geschichte und das sei schon so lange her und das sei sicher alles übertrieben und Siegergeschichtsschreibung.
Sie fehlt genauso der anderen Seite, die bei der geringsten Abweichung jeden in die rechte Ecke stellt, ohne groß zu fragen nach dem Warum und Weshalb, aber dafür mit Phrasen wie "Persilschein" und "läßt sich von Nazi-Mythen blenden" immer flott bei der Hand ist.
Da wird oft dermaßen undifferenziert mit der Nazi-Keule zugeschlagen, daß es eine wahre Freude ist. Als ob es nicht klar sein müßte, daß es genauso eine Verharmlosung der Nazizeit ist, wenn man bei jeder sich bietenden Gelegenheit den "Führer" an die Wand malt. So wie etwa Oskar Lafontaine mit seiner "Sekundärtugend"-Bemerkung, die damals auch kein Schwein witzig oder gar als ernstzunehmende Meinung empfand:
Zitat von
Oskar Lafontaine
„Helmut Schmidt spricht weiter von Pflichtgefühl, Berechenbarkeit, Machbarkeit, Standhaftigkeit. [...] Das sind Sekundärtugenden. Ganz präzis gesagt: Damit kann man auch ein KZ betreiben.“
Muß man eigentlich jedesmal dermaßen dick auftragen? Bei SvA beispielsweise hätte es ja auch völlig genügt, darauf hinzuweisen, daß Zumstein in kaum noch zu unterbietender Naivität eine peinliche Fliegerschmonzette geschaffen hat, noch dämlicher als z. B. Biggles und was man in der Richtung so zu lesen bekommt, dafür aber garantiert familienfreundlich, weil in jeder Beziehung blutarm.
SvA wäre in der Form auch dann saumäßig gewesen, hätte es "nur" in Vietnam oder in Afghanistan gespielt. Aber weil Hans-Joachim Marseille eben ein Luftwaffenpilot war, mußte man unbedingt auch noch die Nazi-Kiste mit draufpacken! Und da wird's unsachlich, weil man dann nicht nur das Werk, sondern auch den Autor als Person angreift. Zumstein hat sich dementsprechend gegen die Andeutung verwahrt, Nazi-Webseiten zu frequentieren oder Nazi-Gedankengut zu pflegen.
Wie nützlich sind Nazi-Vorwürfe überhaupt noch? Früher, als es in Deutschland nur so wimmelte von Leuten, die mitgemacht oder zumindest geschwiegen haben, da mag das ja noch effektiv gewesen sein - um die deutschlandweite Omerta aufzubrechen. Aber heute?
Man lese sich nur mal diese ernüchternde Auswahl im Tagesspiegel vom 3. November 2010 durch, wie großartig das aussieht, wenn jeder jeden als "Nazi" oder "neuen Hitler" oder als "Verharmloser" hinstellt: Und immer lockt der Nazi-Vergleich.
Wundert's einen da noch, wenn die einen auf die Palme gehen, weil sie den geschmacklosen ewigen Nazi-Schmarrn nicht mehr hören können - und die anderen gleich gar nicht mehr zuhören, egal, ob da nun von echten oder nur eingebildeten Nazis die Rede ist?
Deshalb wird der Antisemitismusvorwurf oft nur noch als Teil der jüdischen Folklore wahrgenommen, ein bisschen wie Klezmer-Musik. Der Papst warnt vor Kondom und Pille, die FDP vor "anstrengungslosem Wohlstand", ein Marxist vor dem Privatbesitz an Produktionsmitteln, und die Juden warnen halt vor dem stets zunehmenden Antisemitismus. Ohne viel Gefühl für Relevanz und Proportionen ziehen sie in symbolische Schlachten, auto-immunisiert gegen die Realität. Frei nach Asterix lautet das Resümee: Die spinnen, die Juden, jedenfalls einige, jedenfalls manchmal.
Ganz zu schweigen davon, daß die neuen Rechten von heute selber schon Nazi-Beschuldigungen nutzen, um ihre Gegner zu diffamieren. Vorhang auf für unseren Bundeskanzler in spe:
Zitat von
Thilo Sarrazin
"Nach dem Krieg hat man sich bei jedem gefragt, was hat der wohl zwischen 1933 und 1945 gemacht. Nach dem 11. September denken wir so über die Muslime."
Aus: Jan Fleischhauer, "Da sind wieder vier in Kopftüchern", DER SPIEGEL, 20. Dezember 2010)
Wird also unheimlich viel bringen, wenn Diskussionen künftig nur noch nach dem Muster "Nazi!" - "Selber Nazi!" ablaufen - während gleichzeitig ein offen ausländerfeindliches Buch wie Deutschland schafft sich ab zum "erfolgreichsten Sachbuch der Nachkriegszeit" avanciert und dessen Verfasser wegen ungenügender Anklagevorbereitung gleich zwei Parteiausschlußverfahren übersteht! Wenn Leute, die gar keine Nazis sind, sich rechtfertigen müssen, während die echten Rechten ihre Gegner einfach grinsend am Nasenring vorführen. Die Linke macht sich's zu bequem, wenn sie meint, es käme nur auf die richtige Gesinnung an!
Ein Zitat aus einem Interview mit dem Sozialpsychologen Harald Welzer ("Soldaten. Protokolle vom Kämpfen, Töten und Sterben"), das m. E. illustriert, weshalb konkrete Nazi-Vorwürfe und Gesinnungsfragen nicht wirklich dazu beitragen, den Faschismus zu verstehen (Hervorhebung von mir):
ZEIT Geschichte: Und die Judenerschießungen? Sie sagen, man musste kein Antisemit sein, um daran teilzunehmen.
Welzer: Natürlich hat es einem die Sache sehr erleichtert, wenn man einer war. Aber ein Antisemit erschießt nicht automatisch Juden, nur weil er ein Antisemit ist. Und ein Nichtantisemit lässt es nicht automatisch bleiben. Die Situation entscheidet. Und was die persönlichen Aussagen angeht, begegnen uns in den Protokollen die aberwitzigsten Aussagen: Da gibt es klassische Weltanschauungskrieger, die es widerwärtig finden, wenn Leute an einer so ernsten und wichtigen Sache wie einer Massenerschießung nur so zum Spaß teilnehmen. Andere sagen sinngemäß: Aber das kann man doch nicht machen, selbst wenn's Juden sind ... Bei manchen kollidiert auch die eigene antisemitische Hintergrundüberzeugung mit dem soldatischen Ethos - nach dem Motto: Die Erschießungen sind schon richtig, aber ein anständiger Soldat kann das doch nicht tun.
Sowas bekommt man nicht in den Blick, wenn man annimmt, dass die Leute wie Marionetten von einer bestimmten Ideologie gelenkt wurden.
Aus: Ein Erlebnis absoluter Macht, ZEIT Geschichte Nr 2/2011, S. 88
Oder, wie der Historiker Timothy Snyder ("Bloodlands") in einem Interview ("Ein Apparat effizienten Tötens") im aktuellen SPIEGEL (#28/2011, S.48) den Journalisten entgegnete: "Sie fragen nach Schuld, mich interessieren ursächliche Zusammenhänge."
An Leuten, die verurteilen oder vertuschen wollten (was mitunter ineinander übergehen kann), hat es bei diesem Thema jedenfalls nie gefehlt. An Leuten, die verstehen wollten, schon eher.
Man muß kein Nazi sein, um Nazis zu unterstützen. Die Deutschen haben Hitler ab 1929 ja auch nicht gewählt, weil sie unbedingt Juden ermorden wollten. Sondern weil sie verzweifelt waren und Arbeit suchten, oder sich sonstwelche Vorteile davon versprachen (insofern darf man gespannt sein, ob Marvano in Grand Prix das auch überzeugend rüberbringen wird).
Und gerade darum ist die Fixierung auf Gesinnungsfragen verharmlosend: Weil man dann nicht versteht, warum Leute, die keine Nazis waren, trotzdem mitgemacht haben. Und weil umgekehrt jeder, der glaubt, man müsse Nazi sein, um Kriegsverbrechen begehen zu können, sich damit selbst entlastet: Statt sich zu fragen, ob man seinerzeit vielleicht auch in so etwas hineinrutschen hätte können und dann "einfach mitgemacht hätte", kann sich nun jeder sagen: "Passiert mir nie - ich bin ja nicht so einer!".
Dabei sollte die Frage, warum man selbst kein Nazi sein muß, um Nazi-Verbrechen zu begehen, doch wohl die wesentlich beunruhigendere sein!
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