BLUTSPUREN
Text + Zeichnungen: Rutu Modan
Edition Moderne
Schon beim Cover fängt's an: Ein reißerischer Titel kontrastiert ein absolut unblutiges Motiv. Eine Person (Mann oder Frau; auf dem ersten, unkundigen Blick schwer auszumachen) im Vordergrund, körperlich eher dem Betrachter dieser Graphic Novel zugewandt, schaut von eben diesem Buch-Betrachter weg hin zu einem Mann (diesmal eindeutig identifizierbar), welcher bei einem Taxi steht, das mit lateinischen wie hebräischen Schriftzeichen gekennzeichnet ist. Und im Hintergrund sind zwei hochaufragende Palmen zu sehen. Damit ist die Eindruck geweckt, einen main-stream-abseitigen Comic vor sich zu haben. Der oben rechs aufgedruckte Namen "Rutu Modan" tut sein Übriges.
Rutu Modan ist Israelin, geboren 1965 in Tel Aviv und veröffentlicht seit mehreren Jahren in Israel Comics sowie Illustrationen, zudem ist sie ebenfalls als Texterin tätig. Das hier vorliegende Werk wurde erstmals 2006 veröffentlicht.
Die Geschichte selbst ist formal in vier, leicht unterschiedlich lange Kapitel unterteilt, worin die ersten drei zeitlich relativ nah beeinander liegen, während der letzte auflösende Abschnitt zeitlich vom bisherigen Geschehen etwas abgesetzt ist.
Inhaltlich geht es um eine Spurensuche nach einem anscheinend Toten, dessen Ableben widerlegt werden soll. So gewollt von einer unscheinbar wirkenden Frau (eben diese Person auf dem Titelbild) gegenüber einem Taxifahrer (der Mann auf dem Cover), die diesen wie aus heiterem Himmel anspricht auf den Verbleib eben dieses Verschollenen, der zugleich der Vater dieses Taxifahrers ist. Pikant wird diese Angelegenheit gleich durch mehrere Umstände: Der Kontakt des Vaters zu dem Sohn ist schon längere Zeit abgebrochen; diese ansprechende Frau outet sich als Geliebte dieses Vaters, obwohl sie erheblich jünger ist; zudem gehört diese Frau, Numi mit Namen, sozial gesehen der israelischen Oberschicht an, während der Taxifahrer Kobi eher dem werktätigen Unterschichten-Milieu zuzurechnen ist.
Numi ist in der Geschichte der aktivere Teil dieses "Paares", während Kobi hingegen eher zögerlich bis renitent reagiert, weil dieser die Vergangenheit lieber ruhen als neu interpretieren mag, denn mit dem Verhältnis zu seinem Vater hat er abgeschlossen. In den ersten drei Kapiteln kann der Leser mitverfolgen, wie trotz der sozialen wie emotionalen Differenzen Numi und Kobi sich allmählich näher kommen und das, was gemeinhin in so einer Geschichte, in der anfänglich zwei extrem unterschiedliche Charaktere schließlich "konvergieren", kommen muß auch kommt. Nachdem das nun Erwartete gekommen ist, ist aber nicht Schluß. Im vierten Kapitel erfährt Kobi für ihn Wesentliches; erlebt auch etwas anderes, für ihn jetzt nun ebenfalls wesentlich, aber auf eine unterschiedliche Weise. Kurz und rätselhaft (für den Lese-Interessierten): Der einen "Konfrontation" wird ausgewichen, der anderen hingegen wird begegnet.
Graphisch gesehen ist diese Geschichte ein Spagat zwischen Anspruchslosigkeit der Zeichnungen sowie der erforderlichen Reduktion von Bildgestaltung, um einerseits die Imaginationskraft des lesenden Betrachters zu fördern, anderseits aber immer noch genügend Identifikationsmerkmale der handelnden Protagonisten zu belassen. Dieser reduktionistische Stil kontrastiert wirkungsvoll die an sich schreckliche, weil latent unsichere wie bedrohliche Situation der Menschen in ihrer Umgebung. Denn dieser Comic spielt in Israel, wo der Terror allgegenwärtig ist und den Alltag der dort lebenden Menschen bestimmt. Diese Stimmung einzufangen und auf den Leser zu übertragen, gelingt dem Comic vorzüglich. Und das ganz ohne blutige Szenen, weil die dort reportierten Fakten, Situationen sowie Interaktionen an sich ausreichen. Vorausgesetzt, der Leser ist sich der gegenwärtigen politischen Lage in diesem Teil der Levante ständig bewußt.
Insgesamt eine Geschichte, deren Komplexität und Vielschichtigkeit zu dem schon fast zwei-dimensional zu nennenden Zeichenstil scheinbar im Widerspruch steht. Doch eher ist die Schlußfolgerung statthaft, daß hier eine zeichnerische Verkürzung auf das Wesentlichste stattfindet, die dafür umso mehr Raum gibt, inhaltlich die fragilen menschlichen Beziehungen in einem instabilen Umfeld besser erfassen und verstehen zu können.
10/10